Das DFC-Team in Kenia: Spurensuche im Kampf gegen FGM
Kapitel 1: Unser erster Tag in Kenia
Dr. Cornelia Strunz berichtet von ihrer Reise mit Evelyn Brenda nach Kenia.
Freitag, 20. Mai 2016: Er war lange erwartet, dieser erste Tag unserer Reise nach Kenia. Ich bin mit Evelyn Brenda hier, um wichtige Partner und Freunde unseres Desert Flower Center Waldfriede zu treffen. Ich werde ihnen bei ihrer Arbeit im Kampf gegen die Folgen von FGM vor Ort über die Schulter schauen und dabei ganz viel lernen: Über die Sorgen der Helfer, über hier angewandte OP-Methoden und natürlich nicht zuletzt über das Leben beschnittener Frauen in Kenia. Und ich werde Spenden vom Krankenhaus Waldfriede aus Berlin überbringen. Aber zuerst werde ich eine Mädchenschule in Bissel und eine in Kajiado kennenlernen.
Die vielen Eindrücke sind unbeschreiblich!
„Mum Jennifer“, wie Evelyn ihre Freundin liebevoll nennt, holt uns heute morgen mit ihrem Mann ab. Mit dem Auto geht es von Nairobi zunächst nach Bissil. Dort leben die beiden in einem sehr stabil gebauten Lehmhaus mit kleinem Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Plumsklo im Hof und vielen Hühnern. Jennifer verwaltet die Spenden, die Evelyn in Deutschland für das „Kenia-Projekt“ einnimmt. Sie ist eine sehr zuverlässige Frau, die ihren Aufgaben vor Ort absolut gerecht wird und dafür sorgt, dass die Spenden, auch unsere, dort ankommen wo sie gebraucht werden.
Unser Ziel für heute sind zwei Mädchenschulen, wo vor Zwangsheirat gerettete Mädchen Aufnahme und Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben finden. Mit vielen Lebensmitteln im Kofferraum machen wir mit „Mum Jennifer“ aber zuerst einen Abstecher nach Manjatta. In diesem winzigen Dorf mit drei kleinen Lehmhütten ohne Strom lebt eine Familie so spartanisch, wie ich es noch nie gesehen habe. Der Vater ist gefühlte 80 Jahre, die Mutter nur halb so alt. Eine der Töchter kommt uns auf dem Weg zur Hütte entgegen. Sie ist 17 und, wie eigentlich alle Mädchen hier, beschnitten. Wir bringen der Familie Reis, Bohnen, Mehl, Zucker und Waschmittel. Der Vater ist sehr dankbar über den regelmäßigen Besuch und die Zuwendung von „Mum Jennifer“. Deshalb lässt er zu, dass seine Töchter zur Schule gehen dürfen und nicht zwangsverheiratet werden.
Stürmische Begrüssung in der Mädchenschule in Bissil
Die Mädchenschule, die wir in Bissil besuchen, wird von der Regierung unterstützt. Hier leben mehr als 200 vor Zwangsheirat gerettete Mädchen. Sie gehen zur Schule, erhalten eine warme Mahlzeit und sind einfach „nur“ in Sicherheit, was das Allerwichtigste ist.
Evelyn wird von allen stürmisch begrüßt. „Mum Jennifer“ verteilt Hygieneartikel: Toilettenpapier, Seife, Zahnpasta, Schuhcreme, Körperlotion. Ich bin zutiefst beeindruckt von der Freude der Mädchen, aber auch von ihrer Aufmerksamkeit und Disziplin, wenn Evelyn, Jennifer oder die Lehrerin Lucy mit ihnen reden. Einige Mädchen erzählen uns später sehr vertraulich von dem was sie erlebt haben und mir stockt der Atem. Einmal mehr wird mir bewusst, wie wichtig die Arbeit im DFC ist. Zugleich ahne ich aber auch, wie groß die Hürde sein muss, sich gegen die eigene Familie aufzulehnen und die lange Reise nach Berlin anzutreten.
Was ich hier erlebe geht mir verdammt nahe
Der gesellschaftliche Zwang zur Beschneidung in Kenia ist immens. Für eine Familie auf dem Dorf ist es fast unmöglich, die eigenen Töchter unbeschnitten zu lassen. Was soll aus ihnen werden, wenn sie nicht verheiratet werden können? Das ist die große Frage, vor die sich die Eltern gestellt sehen und meist keinen Ausweg wissen.
Dennoch: Es gibt Familien, Mütter oder Väter, die sich gegen diese furchtbare Tradition wehren. Wir lernen in der Mädchenschule in Bissil das Mädchen Faith kennen. Sie ist von ihrer Mutter und ihrem Bruder vor der Beschneidung und Zwangsheirat gerettet und hierher gebracht worden. Dass eine Mutter ihr Kind vor FGM schützt und auf sich nimmt, dafür von ihrem Mann verurteilt und geschlagen zu werden, ist wirklich selten der Fall.
Am Abend besuchen wir in Kajiado eine weitere Mädchenschule. Sie gehört zur Adventistengemeinde. Auch hier freuen sich alle sehr über unsere Spenden. Was ich an diesem ersten Tag erlebe, das geht mir verdammt nahe. Was für eine unbeschwerte Kindheit wir in Europa haben dürfen! Das alles ist hier überhaupt nicht selbstverständlich.
Evelyn und ich reden mit den Mädchen und versuchen ihnen zu vermitteln, wie wertvoll sie sind. Sie müssen in ihren jungen Jahren so stark sein. Sie sind in der Schule in Sicherheit, aber ihre Zukunft bleibt ungewiss. Was ihnen noch alles passieren kann, das möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Wir können die Welt nicht retten. Aber ich bin froh, dass wir vor Ort wenigsten im Kleinen helfen können. Das ist ganz wichtig. Das Krankenhaus Waldfriede unterstützt übrigens derzeit 15 Mädchen ganz konkret mit Schulgeld, Hygieneartikeln, Schuluniformen und Transportkosten.
Ich bin gespannt, was mir der nächste Tag für Erfahrungen bringt.